Interview: Oikocredit ist bereit für die Zukunft

Interview: Oikocredit ist bereit für die Zukunft

Thos Gieskes_web29. Juni 2021

Geschäftsführer Thos Gieskes verlässt Oikocredit International. Im Interview gibt er Einblick in die Entwicklung der letzten und der kommenden Jahre.

Da Oikocredit-Geschäftsführer Thos Gieskes Ende des Jahres ausscheidet, wollten wir uns mit ihm zusammensetzen und über seine Zeit bei Oikocredit sprechen. Außerdem hat Oikocredit International vor Kurzem ihre Generalversammlung abgehalten. Daher ist es ein guter Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wie Oikocredit war, als Gieskes 2017 bei der Genossenschaft anfing, wo sie heute steht, wohin sie sich entwickelt und wie die aktuelle und die neue Strategie mit all dem zusammenhängen.

Oikocredit International hat gerade seine Generalversammlung abgehalten – aufgrund der Pandemie virtuell. Was war Ihr Eindruck von der Versammlung?

Ich denke, es war eine sehr effektive Versammlung. Aufgrund der Pandemie war dies unsere zweite virtuelle Generalversammlung, sodass wir einige der Erfahrungen aus dem letzten Jahr nutzen konnten. Dies ermöglichte mehr und bessere Interaktionen mit den Direktmitgliedern. Und obwohl ein virtuelles Treffen immer noch anders ist als ein persönliches Treffen, hatten wir einen guten Austausch von Ideen und Perspektiven.

Für mich persönlich ist es schade, dass ich nicht in der Lage sein werde, mich von all unseren wunderbaren Mitgliedern auf eine persönlichere Art und Weise zu verabschieden, aber das verblasst angesichts des großen Schmerzes, den die Pandemie anderen zugefügt hat.

Wenn Sie auf die Zeit zurückblicken, als Sie zu Oikocredit kamen, was waren damals einige der Herausforderungen für die Genossenschaft?

Erstens befand sich Oikocredit, und das schon seit einigen Jahren, in einem neuen finanziellen Umfeld mit extrem niedrigen Zinsen. Der größte Teil unserer Einnahmen stammt aus Zinsen. Bei niedrigen Zinssätzen hat man also niedrige Einnahmen, aber die Kosten bleiben gleich. Zweitens gab es einen verstärkten Wettbewerb im Bereich des Impact Investing und damit viel Liquidität unter den sozialen InvestorInnen, auch bei Oikocredit.

Drittens stiegen die Kosten für die Geschäftsabwicklung. Die regulatorischen Kosten nach der Finanzkrise stiegen. Die Komplexität der Geldvergabe nahm zu. Mit den gestiegenen Kosten steigt auch die Mindestgröße, die man haben muss, um in einem bestimmten Land tätig zu sein oder ein bestimmtes Instrument anzubieten, damit es rentabel ist.

Wie wollte Oikocredit diese Herausforderungen angehen?

Es gab eine natürliche Abfolge, wie wir mit diesen verschiedenen Herausforderungen umgehen mussten. Wir hatten uns zu sehr verzettelt. Wir mussten prüfen, wo wir weiterarbeiten wollten, was wir anbieten wollten und in welchen Segmenten.

Am Ende wählten wir 33 Länder aus, in denen wir unserer Meinung nach in unseren Schwerpunktsektoren finanzielle Inklusion, Landwirtschaft und erneuerbare Energien den größten Unterschied machen können. Die Auflösung der Partnerschaften mit den Organisationen in den Ländern, in denen wir uns entschieden haben, nicht mehr zu arbeiten, ist noch im Gange und wir werden unsere Verpflichtungen bis zum Ende erfüllen oder andere finden, die uns ersetzen.

Darüber hinaus haben wir beschlossen, mehr in die Fähigkeiten unserer MitarbeiterInnen und unserer Organisation zu investieren, und haben Programme zur kontinuierlichen Verbesserung und Veränderungsinitiativen eingeführt, um unseren Partnern und AnlegerInnen noch besser dienen zu können. Wir haben uns auch vorgenommen, ein Katalysator zu sein, der verschiedene AkteurInnen zum Nutzen einkommensschwacher Gemeinden zusammenbringt. Auf diesem Konzept werden wir in unserer neuen Strategie für 2022 bis 2026, die wir derzeit entwickeln, weiter aufbauen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir einen weiten Weg zurückgelegt haben und unser Kostenniveau viel erträglicher geworden ist. Unsere Art des agilen Arbeitens hat uns während der Pandemie sehr geholfen, und die Tatsache, dass wir uns für eine Konzentration der Länder und Sektoren entschieden haben, hat es uns ermöglicht, uns wirklich auf unsere Partner und ihre Bedürfnisse zu konzentrieren.

Sie erwähnen, dass Oikocredit eine neue Strategie entwickelt. Wo stehen Sie in diesem Prozess?

Die Strategie 2022-2026 wird derzeit entwickelt, und ich denke, der Prozess, den wir dabei durchlaufen, ist fantastisch. Wir haben wirklich, getreu dem Wesen einer Genossenschaft, so viele Menschen wie möglich in den Prozess einbezogen: Mitglieder, Partner, die Fördervereine und unsere eigenen MitarbeiterInnen. In den letzten Wochen hatte ich das Vergnügen, drei Sitzungen zu moderieren: zwei mit MitarbeiterInnen und eine mit Mitgliedern. Die kleine Größe dieser Gruppen ermöglichte ein intimeres Gespräch, und es war wirklich fantastisch, den Enthusiasmus und das Engagement „unserer Leute“ zu spüren, die sich aktiv an der Gestaltung der Zukunft von Oikocredit beteiligen.

Wir testen jetzt den gemeinschaftsorientierten Ansatz, der sich aus diesem Strategieprozess ergeben hat, zum Beispiel mit Pilotprojekten. Unser Ziel ist es, die Strategie rechtzeitig für unsere außerordentliche Generalversammlung Ende des Jahres fertig zu stellen.

Wie ist Ihr Ausblick für den Rest des Jahres?

Ich denke, dass es finanziell ein wesentlich besseres Jahr werden wird. Das letzte Jahr war wegen der Pandemie ein außergewöhnliches Jahr, aber die Dinge verbessern sich, und wir haben von Anfang an Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass Oikocredit diese Zeit überstehen würde. Unsere Direktorin für Finanzen und Risikomanagement Mirjam `t Lam hat in ihrem jüngsten Interview sehr ausführlich darüber berichtet. Auch wenn es aufgrund der Pandemie weiterhin Unsicherheiten gibt, stimmt uns unsere Leistung in den ersten Monaten des Jahres 2021 zuversichtlich, was die finanzielle Lage von Oikocredit angeht, und wir arbeiten im Rahmen unserer neuen Strategie intensiv daran, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird.

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit bei Oikocredit zurück?

Ich würde ehrlich sagen, dass ich sehr glücklich und stolz auf das bin, was wir erreichen konnten. Wir haben viele gute Veränderungen vorgenommen, um das Geschäft zu professionalisieren, was wir uns selbst, unseren AnlegerInnen und unseren Partnern schuldig waren.

Und ich denke, vielleicht ein wenig kontrovers, dass die Pandemie bewiesen hat, dass das, was wir mit den organisatorischen Veränderungen gemacht haben, notwendig war. Die Auswirkungen der Pandemie wären viel schlimmer gewesen, wenn wir die Veränderungen, die wir vorgenommen haben, nicht gemacht hätten.

Ich muss mich auch bei unseren AnlegerInnen und Fördervereinen bedanken. Ihre Unterstützung und Loyalität wurden während der Pandemie noch deutlicher, wo sie trotz der Tatsache, dass es keine Dividende gibt, ihre Unterstützung fortsetzen und zu uns halten, was großartig ist.

Ich bin sehr glücklich über all die Menschen, die ich getroffen habe und mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Oikocredit ist eine sehr einzigartige Organisation mit wunderbaren Menschen, die mit Leidenschaft eine echte und dauerhafte positive Wirkung in der Welt erzielen wollen.

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