Interview: Partner stärken und Engagement in Schwerpunktbereichen intensivieren

Interview: Partner stärken und Engagement in Schwerpunktbereichen intensivieren

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Oikocredit-Geschäftsführer Thos Gieskes spricht über die aktuellen Entwicklungen in der Genossenschaft.

Thos Gieskes, Geschäftsführer von Oikocredit International, erläutert die jüngsten Entwicklungen in der Genossenschaft. Intensiviert wurde die Arbeit in den Schwerpunktbereichen, außerdem verstärkt die Genossenschaft ihre Anstrengungen, ihre Partner über die Vergabe von Finanzierungen hinaus zu unterstützen. Ziel ist die Maximierung von Oikocredits sozialer Wirkung, dazu gehört die Fokussierung unserer Arbeit und die Stärkung der Netzwerke unserer Partnerorganisationen.

Inwieweit hat sich die Entwicklungsgesellschaft Oikocredit seit ihren Anfängen im Jahr 1975 verändert? Was sind die Unterschiede zur aktuellen Situation?

Der deutlichste Unterschied ist unsere Größe. Am Anfang waren wir eine relativ kleine Bewegung. Wir hatten die großartige Idee, im Leben einkommensschwacher Menschen etwas zum Positiven zu bewegen, doch dafür stand nur sehr wenig Geld zur Verfügung. So erhielten wir die Mittel zunächst über Mitglieder der Kirche. Dann wurde uns schnell klar, dass wir mit mehr Anleger*innen sehr viel mehr Menschen unterstützen könnten. Wenn man bedenkt, wo wir angefangen haben – mit nur einer kleinen Gruppe von Kirchenmitgliedern – und wie viele Menschen jetzt beteiligt sind, das ist schon sehr spannend. Mit unseren 57.000 Anleger*innen könnte man ein ganzes Fußballstadion füllen!

„Impact Investing“ ist jetzt in aller Munde. Bei Oikocredits Gründung im Jahr 1975 war das noch ein ganz neues Konzept. Wie unterscheidet sich Oikocredit von anderen sozial orientierten Investoren?

Bei Oikocredit stand – und steht – immer die soziale Wirkung im Mittelpunkt. Das ist der Zweck unseres Daseins. Wir erleben, dass dieser Wunsch nach sozialer Wirkung wächst und dass die Gesellschaft als Ganzes sich stärker ihrer Verantwortung stellen will. Oikocredit will aber nicht bloß Verantwortung übernehmen. Wir wollen, dass unsere Investitionen größtmögliche soziale Wirkung erzielen und dabei gleichzeitig einen angemessenen finanziellen Ertrag bringen. Diese Herangehensweise haben sich inzwischen zwar auch andere Organisationen auf die Fahnen geschrieben, wir haben diesen Anspruch aber bereits seit über 40 Jahren.

Können Sie uns etwas zu den jüngsten Veränderungen und Entwicklungen bei Oikocredit erzählen?

Im Rahmen unserer aktualisierten Strategie konzentrieren wir uns in erster Linie darauf, größeren Mehrwert für unsere Partner zu schaffen. Gemeinsam mit unseren Partnern suchen wir nach Lösungen für Probleme, die die weitere Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeit betreffen.

In den Anfängen stellten wir unseren Partnern vor allem Finanzierungen bereit. Nach und nach unterstützen wir unsere Partner zunehmend durch Beratungs- und Schulungsmaßnehmen. Diese Beratungs- und Schulungsprogramme nehmen auch weiterhin an Bedeutung zu, denn wir wissen, dass Know-How mindestens genauso wichtig ist wie Kapital. Heute suchen wir gemeinsam mit unseren Partner nach Möglichkeiten, strategische Herausforderungen in ihren Geschäftsfeldern anzugehen.

Nehmen Sie zum Beispiel Kakao: Wenn die Einkommen der Bäuer*innen nicht steigen, dann müssen wir schauen, warum das so ist. Und dazu müssen wir die gesamte Wertschöpfungskette betrachten, um zu sehen wo die Probleme sind, und was wir tun müssen, um diese zu lösen. Wenn die Einkommen nicht steigen, dann haben diese Menschen kaum eine Chance, ihre Lebensumstände zu verbessern. Es kann also nicht allein um die Finanzierung gehen oder um den Kakao – die Probleme müssen übergreifend angegangen werden, wenn wir hier wirklich einen Unterschied machen wollen. Und genau das tun wir.

Erst kürzlich fand die Generalversammlung 2019 von Oikocredit International in den Niederlanden statt. Was wurde dort diskutiert – und mit welchem Ergebnis?

Dies war die dritte internationale Generalversammlung, an der ich teilgenommen habe, und es war eine besonders erfolgreiche. Es macht mich froh, Menschen zu erleben, die mit Optimismus in die Zukunft schauen.

Oikocredit durchläuft derzeit eine Phase des Wandels, um unsere aktualisierte Strategie umzusetzen. Ziel ist es, unsere Finanzergebnisse zu verbessern. Unsere Mitglieder haben uns in dieser Phase großes Verständnis und viel Unterstützung entgegengebracht. Unsere Mitglieder können die Richtung, in die wir uns bewegen, nachvollziehen und begleiten diesen Wandel mit Enthusiasmus.

Bei so viel Bereitschaft und positiver Einstellung gab es reichlich Raum für Gespräche über das Geschehen rund um den Globus und dazu, was Oikocredit tut, um etwas zu bewirken. Außerdem diskutierten wir Themen wie beispielsweise Oikocredits aktuellen Fokus auf Fintech (Finanztechnologie).

Die Teilnehmer*innen der Generalversammlung stimmten auch dem Vorschlag des Vorstands zu, eine Dividende von einem Prozent auszuschütten. Dazu fand keine große Debatte statt – wahrscheinlich, weil wir unseren Mitgliedern sowie den Anleger*innen die Finanzlage und unsere Herangehensweise an die verschiedenen Herausforderungen im Rahmen unserer aktualisierten Strategie bereits langfristig kommuniziert hatten. 

Was ist für Oikocredit bei der weiteren Umsetzung der aktualisierten Strategie besonders spannend?

Wir freuen uns natürlich immer ganz besonders, wenn wir auf neue Partner stoßen, die Menschen in einkommensschwachen Gemeinschaften bei der Realisierung ihrer Träume und Ziele helfen. Ganz spannend ist dabei, wenn wir, wie gesagt, höheren Mehrwert für unsere Partner schaffen können. Der Wunsch, unsere Partner auf die bestmögliche Weise zu unterstützen, ist sehr groß, gerade bei unseren Kolleg*innen, die vor Ort eng mit Partnern zusammenarbeiten.

Und dann kommt noch ein eher technischer Punkt hinzu: Ich persönlich finde die Prozesse sehr spannend, die wir jetzt effizienter gestalten. Es ist schon toll zu sehen, wie die Menschen in der gesamten Organisation unsere Abläufe voranbringen wollen. Sind die neuen Verfahren erst einmal umgesetzt, können wir unsere Partner effizienter unterstützen. Wir agieren schneller und flexibler. Auch bei der Begleitung unserer Partner werden wir immer besser. Dabei geht es nicht darum, sie zu überwachen, sondern sie bei der Erfüllung ihres sozialen Auftrags zu unterstützen. Gleichzeitig wollen wir die hervorragende Arbeit, die unsere Partner leisten, wirkungsvoll an unsere Mitglieder, Anleger*innen sowie die an „Impact Investing“ interessierte breitere Öffentlichkeit kommunizieren.

Welche Bereiche spiegeln Oikocredits neue Ausrichtung besonders klar wider? Was sind die Unterschiede zu früher?

Neu für uns sind die Änderungen bei der Strategie für erneuerbare Energie. Als wir 1975 anfingen, war der Schutz unserer natürlichen Umwelt für die meisten Menschen noch kein so großes Thema. Aber heute ist das ein wesentliches Anliegen und steht im Zentrum unseres Handelns.

Bei unseren Investitionen in erneuerbare Energien genügt es uns nicht, dass wir einen Beitrag zum Umweltschutz leisten, uns kommt es vor allem auch auf die soziale Wirkung der Finanzierungen an. Im Bereich erneuerbare Energien gibt es zahlreiche Großprojekte, die finanziert werden, aber was wirklich gebraucht wird, ist saubere Energie für einkommensschwache Gemeinschaften. Saubere Kochtechnologie – ein ganz neuer Bereich für uns – ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Fast vier Millionen Menschen sterben vorzeitig jedes Jahr infolge von Krankheiten, die auf die Luftverschmutzung durchs Kochen zurückzuführen sind. Die meisten dieser Menschen gehören zur niedrigsten Einkommensgruppe. Saubere Kochtechnologie ist nicht nur besser für die Umwelt, sondern kann auch Leben retten. Genau da wollen wir investieren.

Ein anderer Bereich, in dem es Anpassungen gab, ist wie gesagt der Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette unserer Agrarpartner. Wir waren immer stolz darauf, Kooperativen oder bäuerliche Kleinbetriebe finanziell zu unterstützen, denn niemand wollte in diesem Segment Kredite vergeben. Wir taten das – aber wir erkannten, dass das nicht reicht. Kleine Kooperativen und Bäuer*innen sehen sich existenzbedrohenden wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber. Das liegt zum Großteil an den vielen Ineffizienzen in der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, ein Bereich, in dem wir Kenntnisse vermitteln und Unterstützung bieten können.

Auch die ökologischen Aspekte der Landwirtschaft stehen für uns im Mittelpunkt – die Landwirtschaft verschlingt enorme Ressourcen, aber gleichzeitig muss die Weltbevölkerung ernährt werden. Wir können unseren Partnern dabei helfen, effizienter mit Wasser und anderen Ressourcen umzugehen.

Warum soll der Öffentlichkeit Oikocredits Arbeit wichtig sein, wenn es doch so viele andere Probleme in der Welt gibt?

Ja, leider gibt es zahlreiche dringende Probleme, die unbedingt angegangen werden müssen. Dennoch möchte ich behaupten, dass Oikocredits Arbeit wichtige Probleme in Angriff nimmt. Hinzu kommt, dass viele Probleme miteinander zusammenhängen. Ein Beispiel ist der Klimawandel: Die Menschen, für die wir uns einsetzen, sind häufig die größten Opfer des Klimawandels. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns bei unserer Arbeit auch mit Umweltfragen.

Aber niemand muss sich nur für ein wichtiges Anliegen entscheiden.  Überlegen Sie sich, was Ihnen wichtig ist und was Sie mit Ihrer Geldanlage Positives erreichen wollen, darin finden sich Oikocredits Schwerpunkte bestimmt wieder.

Wenn Sie wollen, dass Ihr Geld einem guten Zweck dient, wenn Sie es gerade nicht brauchen, dann lassen Sie es bei uns! Und bei der Rückzahlung wissen Sie, dass Ihr Geld sinnvoll eingesetzt wurde. Auch wenn das Angebot einer Geldanlage im Mittelpunkt steht, so sind uns Spenden doch immer willkommen – sie tragen zur Finanzierung unserer Beratungs- und Schulungsangebote bei. 

Wenn jeder mit seinem Geld etwas Gutes tut, dann können wir viele Menschen erreichen.

Im September wird die Genossenschaft Oikocredit ihren Wirkungsbericht veröffentlichen. Können Sie uns eine Vorschau auf den Inhalt geben?

Zunächst einmal geht aus dem Bericht hervor, dass unsere Partner 2018 insgesamt rund 38 Millionen Kreditnehmer*innen betreuten. 2017 waren es erst 36 Millionen. Auch die Zahl der Kund*innen auf dem Land sowie der weiblichen Kundschaft ist gestiegen.

Wir freuen uns außerordentlich, dass die Zahl der Haushalte mit Zugang zu sauberer Energie von 15.600 im Jahr 2018 auf fast 71.700 gestiegen ist.

Den Bericht haben wir mit mehr Infografiken gestalten, um unsere Zahlen benutzerfreundlicher zu illustrieren.

Zudem gibt es eine neue Rubrik, in der es um unseren Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der UNO (Sustainable Development Goals) geht, und eine Rubrik zu unserem Beratungs- und Schulungsangebot. Dieser Bereich wird für unsere Arbeit immer wichtiger.

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