Oikocredit und Erneuerbare Energien – Ein Interview mit David ten Kroode

Oikocredit und Erneuerbare Energien – Ein Interview mit David ten Kroode

david-ten-kroode.jpg

David ten Kroode

Mai 20

Seit 2014 investiert Oikocredit auch in erneuerbare Energien. Wir werfen einen Blick auf die bisherigen Entwicklungen.

Seit Mitte 2014 arbeitet David ten Kroode für Oikocredit. Als Leiter für Erneuerbare Energien ist er zuständig für den Aufbau und die Steuerung eines damals für Oikocredit neuen Arbeitsschwerpunkts: die Finanzierung von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wir sprachen mit ihm über die Entwicklungen der letzten sechs Jahre und darüber, was die Zukunft bringen kann.

Was ist der aktuelle Stand in Sachen Investitionen in erneuerbare Energien bei Oikocredit?

David ten Kroode: Wir haben vor sechs Jahren begonnen, in erneuerbare Energien zu investieren. Unser Bestand an Darlehen und Investitionen in diesem Bereich beläuft sich heute auf mehr als 50 Millionen Euro. Das entspricht etwa fünf Prozent unseres gesamten Anlageportfolios. Unser Portfolio im Bereich erneuerbare Energien besteht aus großen Infrastrukturprojekten und Investitionen in kleine, netzunabhängige Projekte.

Was ist das Ziel der Investitionen?

Bei unseren Investitionen konzentrieren wir uns hauptsächlich auf die Verbesserung des Zugangs zu Energie, das heißt auf die Beseitigung und Minderung von Energiearmut. Denn viele Menschen haben keinen Strom – oder es ist zu teuer, Zugang zum Energienetz zu erhalten. Und bei denjenigen, die zwar Strom haben, funktioniert es nur gelegentlich und ist zudem extrem teuer.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?

Angenommen, Sie leben in Ruanda und möchten Ihr Handy aufladen, aber Sie haben keinen Zugang zu Elektrizität. Dann müssen Sie in ein Dorf gehen, wo es einen Dieselgenerator gibt. Die Kosten für diesen Strom sind 30 bis 50 Mal höher als in Europa. Außerdem kann das Geld, das Sie für Strom ausgeben, für nichts anderes ausgegeben werden, beispielsweise für ein Handy, das ein unverzichtbares Gerät geworden ist, um kleine Zahlungen zu leisten.

In was investiert Oikocredit genau?

Zu Beginn haben wir in große, netzgebundene Infrastrukturprojekte, sogenannte „on-grid“-Projekte, investiert. „On-grid“ bedeutet, dass eine Anlage an das nationale Stromnetz angeschlossen ist. Wir haben zum Beispiel in einen 50-Megawatt-Solarpark in Honduras investiert, der 10.000 Haushalte mit Strom versorgt. Jetzt bewegen wir uns mehr und mehr in Richtung Investitionen in netzferne Anlagen („off-grid“) – also netzungebundene Anlagen, um Menschen oder kleinen Unternehmen Zugang zu Energie zu ermöglichen, die diesen bisher nicht haben. Unsere Partnerorganisationen bieten hierfür beispielsweise eine Lösung in Form von Heimsolaranlagen an.

Warum die Verlagerung hin zu „off-grid“-Projekten?

Wir haben die Projekte, die wir vor sechs Jahren begonnen haben, genau unter die Lupe genommen. Diese größeren Projekte sind besonders gut in makroökonomischer Hinsicht: Gut für ein Land, denn es müssen weniger fossile Brennstoffe oder Strom importiert werden,  und gut für die Umwelt – geringere CO2-Emissionen. Wir haben aber auch untersucht, wer tatsächlich von ihnen profitiert. Denn es ist so: Große Infrastrukturprojekte können gebaut werden, ohne dass die Menschen, die direkt nebenan wohnen, Zugang zu dem erzeugten Strom haben. Das ist ein Problem. Außerdem steht für Großprojekte Geld zur Verfügung, zum Beispiel von internationalen institutionellen Investoren.

Wir aber fragen uns immer: Was ist der Mehrwert unserer Arbeit? Umweltschutz ist ein wichtiger Faktor, aber das ist nicht unsere einzige Antriebsfeder. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht um die Umwelt kümmern; tatsächlich werden alle unsere Projekte anhand von Umweltkriterien geprüft. Aber wenn ein Projekt nur CO2 reduziert, ohne auch direkte positive Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften zu haben, dann würden wir nicht in dieses Projekt investieren.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, wie wird sich diese entwickeln?

Ich denke, wir werden in Zukunft eine stärkere Verschmelzung von netzgebundenen und netzunabhängigen Projekten erleben. Gute Beispiele dafür sind „mini-grids". Das sind Stromnetze von der Größe eines Dorfes oder einer Kleinstadt, die nicht an ein nationales Netz angeschlossen sind. Wenn zum Beispiel ein Solarzellenfeld von der Größe eines halben Fußballfeldes gebaut wird, können dann sowohl Haushalte als auch die Maschinen kleiner Unternehmen daran angeschlossen werden.

Wie wird ein Anbieter erneuerbarer Energien, der Investitionen benötigt, Partner*in von Oikocredit?

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zum einen: Oikocredit gibt es schon eine ganze Weile, wir sind sehr bekannt – und wenn ein Unternehmen im Internet sucht, stehen die Chancen gut, dass es uns findet. Zum anderen weisen uns auch unsere Kolleg*innen in der Region auf Projekte hin. Und wir haben ein gutes Netzwerk von gleichgesinnten Finanzinstitutionen, die mit uns gemeinsam in Projekte investieren wollen.

Wie beantragen potenzielle Partnerorganisationen eine Finanzierung durch Oikocredit?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wir prüfen derzeit mit einem potenziellen Partner die Finanzierung von „mini-grids“ in Benin. Sie arbeiten an einem Projekt zur Stromversorgung von 20 Dörfern. Ich bin auf diese Organisation gestoßen, als ich in Ghana einen anderen Partner besuchte.

Also reiste ich nach Benin und besuchte die Dörfer, in denen diese Mini-Netze gebaut werden sollen. Egal, wie viel man hinter einem Computer recherchiert, es ist wichtig, vor Ort zu sein, um die reale Umgebung zu sehen, in der ein solches Projekt stattfindet. Was uns auffiel, war die Vielfalt der wirtschaftlichen Aktivitäten in diesen Dörfern. Und sie machten alles ohne Elektrizität: Fisch kühlen und Getreide mahlen. Wir sind überzeugt, dass die Entwicklung dieser Dörfer einen enormen Aufschwung erfahren wird, wenn es Strom gibt. Diese Wirkung geht über das Licht am Abend hinaus. Denn auch das Einkommen der Gemeinschaft wird steigen. Sowas können wir nur sehen, wenn wir vor Ort sind.

Warum ist das so wichtig?

Man kann nicht alles aus der Ferne verstehen und analysieren. Man muss sich ein Gefühl für die Bedingungen vor Ort verschaffen. Daher hat Oikocredit in den Ländern, in denen wir tätig sind, oft eine Geschäftsstelle vor Ort. Wenn ich eine potenzielle Partnerorganisation besuche, komme ich immer mit Erkenntnissen zurück, die ich nicht voraussehen konnte: sowohl positive als auch negative. Ich könnte zum Beispiel ein größeres Risiko entdecken, oder aber es stellt sich das Gegenteil heraus: ein Risiko, das auf dem Papier erheblich erscheint, ist in der Praxis gar nicht so groß.

Gibt es Länder, in denen die Entwicklungen schneller voranschreiten?

Ja, in vielen afrikanischen Ländern gibt es einen Nachholbedarf, weil es dort nur wenig Strominfrastruktur gibt. Es gibt einen großen Prozentsatz an Menschen, die überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Und genau in diesen Ländern boomt die Entwicklung von Mini-Netzen.

In Afrika werden Heimsolaranlagen auf einer „pay-as-you-go“-Basis angeboten, bei der die Menschen für die Nutzung über einen bestimmten Zeitraum bezahlen. Das ist dank mobiler Zahlungen möglich. Technologische Entwicklungen bedeuten, dass Geräte für erneuerbare Energien heute weniger kosten und mehr Strom erzeugen. Die Finanzierung von Heimsolaranlagen und „mini-grids“ ist zwar mit einem etwas höheren Risiko verbunden, aber die soziale Rendite ist höher. Wir versuchen dies immer auszubalancieren und wir überwachen sowohl die finanziellen als auch die sozialen Renditen, die die Anleger*innen erwarten.

Diese Entwicklungen auf dem Gebiet der nachhaltigen Energien sind vor allem in Afrika zu beobachten, weniger in Lateinamerika. Deshalb liegen unsere Investitionen diesbezüglich derzeit hauptsächlich in Afrika.

Welche Auswirkungen hat Covid-19 auf die Oikocredit-Partner*innen im Bereich erneuerbare Energien?

Gegenwärtig arbeitet Oikocredit mit allen Partnerorganisationen zusammen, um sie bei ihren Geschäftskontinuitätsplänen, Szenarioanalysen und beim Cash-Flow-Management zu unterstützen. Auf diese Weise hoffen wir, auch unseren Partnern im Bereich erneuerbare Energien zu helfen, sich allen geschäftlichen Herausforderungen zu stellen, die sich aus Covid-19 ergeben – damit sie ihren Kund*innen weiterhin ihre Energiedienstleistungen anbieten können. Wo immer möglich, sind wir dabei, unseren Ansatz zu optimieren, um unseren Partnern auch über Kooperationen mit anderen Impact-Investoren zu helfen. Die Entwicklungen vollziehen sich in rasantem Tempo. Aktuell sehe ich, dass es spezifische Risiken für unsere Partner im Sektor erneuerbare Energien gibt.

Welche Risiken sind das?

Ein Risiko besteht darin, dass die Unternehmen, die die Solarsysteme liefern, ihre Fabriken schließen müssen. Ein anderes besteht darin, dass die Kund*innen ihr Einkommen verlieren und es sich nicht mehr leisten können, für ihre Energie zu bezahlen.

Gleichzeitig aber hören wir von Unternehmen, dass die Produktion von Sonnenkollektoren bereits wieder anläuft. Außerdem gibt es in vielen afrikanischen Staaten gerade in dieser Krisenzeit weiterhin öffentliche Mittel für Solarstrom, weil so der Zugang zu Nachrichten und Informationen über Mobiltelefone, Radio und Fernsehen aufrechterhalten wird. Das Bild ist also nicht nur negativ.

« Zurück