Solidarität ist die Stärke unseres Netzwerks

Solidarität ist die Stärke unseres Netzwerks

Thos Gieskes & Laura Pool.jpgJuli 13

In diesem Interview unterhalten wir uns mit Oikocredit International-Geschäftsführer, Thos Gieskes, und unserer Direktorin für Finanzen & Risiko, Laura Pool, über die Generalversammlung von Oikocredit International im Juni. Sie sprechen u.a. über die Entscheidung, für 2019 keine Dividende auszuschütten und darüber, wie Oikocredit ihre Partnerorganisationen während der Pandemie unterstützt.

Die internationale Generalversammlung wurde zum ersten Mal per Videokonferenz abgehalten. Wie war das?

Thos Gieskes: Es war bedauerlich, dass wir aufgrund von Covid-19 nicht alle an einem Ort zusammen sein konnten, aber es war ein interessantes Experiment. Normalerweise ist die Generalversammlung einer von mehreren Tagen, in der die Genossenschaft zusammenkommt und verschiedene Themen diskutiert. Und das ist der Teil, den wir nun vermisst haben - die vielen Kontaktmöglichkeiten zum Diskutieren und Debattieren, sowohl bei den formellen Treffen als auch die Gespräche beim Kaffee oder während des Abendessens.

Letztendlich könnte man sagen, dass es effizient ist, Sitzungen per Video abzuhalten und die getroffenen Entscheidungen wären wahrscheinlich die gleichen. Aber es ist nicht der beste Weg, sich als Kooperative zu treffen. Man hätte vielleicht auch meinen können, dass mehr Mitglieder auf der Generalversammlung vertreten sein würden - aber tatsächlich war die Teilnahme etwas geringer.

Der positive Aspekt ist jedoch die Verringerung unseres CO2-Fußabdrucks. Tatsächlich wurde dieses Thema nun diskutiert und die Direktmitglieder stimmten dafür, die Reisen zu reduzieren. So wird die Generalversammlung künftig nur noch jedes dritte Jahr im Globalen Süden stattfinden, da dies mit längeren Flugreisen aus Europa verbunden ist.

Welche anderen Themen wurden auf der Jahreshauptversammlung diskutiert?

Laura Pool: Es gab die üblichen Geschäftsberichte und Diskussionen über die Jahresergebnisse und dann einen Vorschlag, die Dividende für 2019 auf 0% festzusetzen. Dieser Vorschlag des Vorstands basierte auf einer revidierten Einschätzung der globalen Wirtschaftsentwicklung und der Frage, wie sich dies auf unsere Finanzlage auswirken könnte.

Oikocredit ist ja rund um den Globus tätig und es gibt dort viele Unsicherheiten. Wir müssen daher sehr umsichtig mit dem Kapital der Genossenschaft umgehen. Denn wir brauchen genügend liquide Mittel für unsere Geschäftstätigkeit und insbesondere für gesunde Kapitalreserven. Vor diesem Hintergrund haben wir frühzeitig, bereits Anfang Mai, vorgeschlagen, keine Dividende auszuschütten. So konnten die Förderkreise den Vorschlag noch mit ihren Mitgliedern diskutieren.

Dies im Vorfeld ausführlich und zufriedenstellend zu diskutieren und noch vor der Generalversammlung Kommentare und Bedenken zu hören, war umso wichtiger vor dem Hintergrund, dass Oikocredit die letzten 32 Jahren eine Dividende gezahlt hat.

Thos Gieskes: Die Mehrheit der Direktmitglieder sprach sich dann auch für den Vorschlag einer Dividende von 0% aus - einige Förderkreise hatten bereits selbst überlegt, einen solchen Vorschlag einzubringen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass wir aufgrund der unklaren Auswirkungen des Coronavirus unsere finanziellen Ressourcen und den Fortbestand des Geschäftsbetriebs bestmöglich sichern müssen.

Wie haben sich die Planungsprioritäten von Oikocredit seit dem Ausbruch des Coronavirus verändert?

Laura Pool: Wir gehen aktuell keine neuen Partnerschaften ein, sondern konzentrieren uns darauf, die bestehenden Partner zu unterstützen - mit Beratung, über Erfahrungsaustausch und - wo möglich - mit finanzieller Hilfe. Unser ursprünglicher Plan, die Anzahl der Partner zu erhöhen, liegt derzeit also auf Eis. Gleichzeitig behalten wir aber den Markt im Auge und beobachten, wann die Zeit reif ist für neue Initiativen und Bereiche, in denen wir expandieren können. Auf der Investorenseite konzentrieren wir uns auf unsere bestehenden Anleger*innen und halten sie auf dem Laufenden.

Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass wir dieses Jahr unsere Bilanz verbessern können. Wir werden voraussichtlich niedrigere Renditen erzielen und zusätzlich Geld zurücklegen müssen, um gestiegene Risiken im bestehenden Portfolio abzusichern.

Zwischenzeitlich evaluieren wir auch laufend verschiedene Szenarien bzgl. der Auswirkungen von Covid-19 und zwar immer dann, wenn neue Infos verfügbar sind und wenn Regierungen Beschränkungen einführen oder aufheben oder mit neuen Maßnahmen die wirtschaftlichen Auswirkungen abmildern. Diese „Stresstests“ werden regelmäßig durchgeführt und ermöglichen es Oikocredit, schnell zu reagieren, wenn sich die Lage in einem Land verändert.

Alles in allem würde ich sagen, dass die Krise gezeigt hat, wie wichtig unsere inklusive Finanzarbeit ist. Zudem zeigt sich, wie wertvoll unsere Beratungen und Schulungen sind, die die Widerstandsfähigkeit unserer Partner in einer unsicheren Welt stärken. Dieses Jahr ist es die Pandemie, in einem anderen Jahr könnten es Auswirkungen des Klimawandels sein, die sich auf die Lebensumstände unserer Endkund*innen auswirken.

Grundsätzlich gilt: Unser Ansatz hat sich in dieser Krise nicht geändert - wir machen das, was wir auch sonst machen. Wir arbeiten mit unseren Partnern individuell zusammen, um sie so gut wie möglich mit dem zu unterstützen, was sie brauchen und halten unsere Anleger*innen darüber auf dem Laufenden (siehe unsere Fragen und Antworten zur Corona-Pandemie).

Wie haben Sie die Zusammenarbeit des Oikocredit-Netzwerks in diesen beispiellosen Zeiten wahrgenommen?

Thos Gieskes: Wir lernen laufend etwas über die Stärke unseres Netzwerks aus Anleger*innen und Förderkreisen. Wir wissen, dass wir geduldige und loyale Anleger*innen haben, die sich dem Auftrag von Oikocredit verpflichtet fühlen. Da die Förderkreise nah an ihren Anleger*innen dran sind, verstehen wir, wie letztere denken und was sie brauchen. Das ist so wichtig - besonders auch in Krisenzeiten.

Die Anleger*innen wollen v.a. wissen, wie es unseren Partnerorganisationen geht. Gleich zu Beginn der Krise trafen sich unsere zuständigen Kolleg*innen (virtuell natürlich) und vereinbarten, dass sie mindestens alle zwei Wochen jeden Partner kontaktieren, um zu erfahren, wie es ihnen geht und um zu beurteilen, welche Unterstützung erforderlich ist. Daraufhin initiierte unsere Abteilung für Soziales Wirkungsmanagement und Innovation online Schulungen und Seminare, um den Partnern zu helfen, sich gegenseitig beim Wissensaustausch zu unterstützen (z.B. das Online-Seminar mit Dr. Godwin Ehigiamusoe von unseren Partner LAPO).

Diese Initiative kam von Mitarbeiter*innen, die selber unter neuen, herausfordernden Bedingungen - vielleicht von zu Hause aus mit einer schlechten Internetverbindung – arbeiten müssen. Sie tun aber genau das, was nötig ist und bleiben eng an unseren Partnern dran.

Außerdem: als sich herausausstellte, dass einige unserer Partner Unterstützung brauchten, die über unsere normalen Finanz- und Beratungsaktivitäten hinausging, entwickelten wir unseren Coronavirus-Solidaritätsfonds. Die ersten Gelder dafür kamen von unserer eigenen internationalen Stiftung, darauf folgten schnell Spenden von Anleger*innen und Förderkreisen. Und so wird deutlich, wie hier alle zusammenarbeiten, um diese Krise so gut wie möglich zu überstehen. In Zeiten wie diesen wird sichtbar, dass wir uns wirklich aufeinander verlassen können.

Ob das Schlimmste hinter uns oder vor uns liegt, weiß niemand. Alles, was wir tun können, ist uns vorzubereiten und einander zu vertrauen. Und so bin ich überzeugt, dass Oikocredit gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird.

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